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Stell dir vor, du wachst auf und es gibt keine Menschen mehr! Thomas Glavinic beschreibt in Die Arbeit der Nacht seine Version dieses Horrorszenarios.

Der Beginn des Romans erinnert an einen Horrorfilm. Ein Mann wacht auf und stellt fest, dass seine Umgebung plötzlich menschenleer ist. So gesehen vor nicht allzu langer Zeit in 28 Days Later. Allerdings tauchen im Laufe von Die Arbeit der Nacht weder Zombies noch andere Überlebende irgendeiner seltsamen Katastrophe auf. Was ist also geschehen?

Thomas GlavinicJonas, ein Mann Mitte Dreißig, beschließt der Sache auf den Grund zu gehen. Anfangs fehlt ihm ja nichts, außer seine Mitmenschen. Sämtliche Geräte, Handys oder Strom sind funktionsfähig. Da gibt es nur niemanden, den er gerade erreichen kann, also erforscht er zuerst die nähere und dann auch die weiter entfernte Umgebung. Jonas stößt aber auf keine anderen Lebewesen. Es gibt weder Menschen noch Tiere. Ihm bleibt nur seine eigene Existenz und die beginnt er neu aufzurollen. Er besucht Orte aus seiner persönlichen Vergangenheit und beginnt sich selbst zu beobachten. Mit zunehmender Einsamkeit wächst auch Jonas Paranoia. Während des Schlafens entwickelt er ein Eigenleben, das er mit Hilfe von Videos beobachtet. Beim Erwachen kann er sich an nichts erinnern. Sein schlafendes Ich ist ihm fremd und macht ihm Angst.

Auf seiner Suche nach anderen Menschen nimmt sich Jonas einfach was er möchte und findet. Er bricht in Häuser ein, stiehlt Kleidung, Essen und was er sonst benötigt. Er besorgt Autos, Waffen und Videokameras. An Regeln braucht er sich nicht mehr zu halten, sie sind sinnlos geworden. Seine Situation wird ihm immer unerträglicher und er entscheidet, dass er einen letzten Versuch unternehmen muss. Er reist nach Großbritannien. Zu jenem Ort, an dem seine Freundin sich zuletzt aufgehalten hat. Die Reise wird zum Kampf gegen sein schlafendes Ich. Mit Hilfe von Aufputschmitteln verhindert er schließlich jegliches Einnicken und trifft eine entgültige Entscheidung.

Die Arbeit der Nacht liefert keine Erklärungen, wie es zu der geschilderten Situation gekommen ist. Für den Leser werfen sich einige Fragen auf. Warum ist alles so ordentlich von den anderen Menschen zurückgelassen worden? Es stehen keine Autos auf den Fahrbahnen, es gibt auch keine Anzeichen, dass irgendetwas Ungewöhnliches passiert ist. Eigentlich sind die möglichen Gründe auch gar nicht wichtig für die Handlung, denn das wirkliche Grauen beginnt mit der Vorstellung, der letzte Mensch auf Erden zu sein und sich die Frage stellen zu müssen: Warum gerade ich?

Obwohl während der knapp vierhundert Seiten des Buches nicht wirklich viel passiert, bleibt der Roman spannend bis zuletzt. Zum besonderen Leseerlebnis beigetragen hat für mich allerdings auch der Schauplatz, nämlich Wien. Irgendwie ist es schön, einen Großteil der im Buch beschriebenen Orte wiederzuerkennen. Noch dazu in einem Roman, der einem wirklich gefällt. Nicht ganz so Ortskundige haben ebenfalls die Möglichkeit sich ein Bild davon zu machen, im Podcast zum Buch. Mit Thomas Glavinic gibt es somit nach längerer Zeit wieder einen österreichischen Autor, dessen nächstem Buch ich mit freudiger Erwartung entgegensehe. Mit skurillen Einfällen kann er jedenfalls aufwarten, wie er bereits mit Der Kameramörder bewiesen hat. Zu Letzterem gibt es bereits Verfilmungsgerüchte.

Die Arbeit der Nacht - Thomas GlavinicWeitere Infos:
de.wikipedia.org
www.wienerzeitung.at
www.orf.at
www.ndrkultur.de
wasix meinte am Okt 16, 11:30:
vielleicht kommt es mir ja nur so vor...
...aber ich habe den eindruck, dass herr glavinic mit diesem buch bei unseren deutschen nachbarn besser ankommt als hierzulande. zumindestens was die kritiker betrifft.

"der kameramörder" hat mir übrigens sehr gut gefallen. ebenso wie das ein-mann-bühnenstück von thomas maurer. gesehen damals im rabenhof, vor etwa einem guten dutzend interessierter. nun gut, es war schon ziemlich am ende der spielzeit... 
srocca antwortete am Okt 19, 21:35:
Österreichische Kritiker
Ich habe oft das Gefühl, dass es den österreichischen Kritikern sehr schwer fällt, etwas Einheimisches zu loben. Das können die Deutschen meistens viel besser. Aber dafür loben Sie uns dann auch.